Western AM: 10 Fragen und Antworten zur Bundestagswahl
Dr. Andreas Billmeier, Europäischer Volkswirt bei Western Asset Management, Teil von Franklin Templeton
10 Fragen und Antworten an Dr. Andreas Billmeier, zu den Auswirkungen des deutschen Wahlergebnisses auf Märkte und Politik:
-
1. Sie haben die Wahlen von Großbritannien aus beobachtet,
was ist Ihnen in Bezug auf den Wahlkampf aufgefallen?
Und wer hatte Ihrer Meinung nach den stärksten Wahlkampf?
- Olaf Scholz, der amtierende Finanzminister, hat keinen
aufregenden Wahlkampf geführt, aber er hat große Fehler
vermieden, auch im öffentlichen Sparring der
Spitzenkandidaten. In diesem Sinne hat er wahrscheinlich
den besten Wahlkampf geführt. Am Ende ist die SPD der
Gewinner dieser Wahlen.
2. Die Drei-Parteien-Koalition wird wohl in Zukunft der Standard sein: Eine Belastung oder eher eine Chance für Demokratie und Wirtschaft?
- Für den Moment bedeutet dies vor allem, dass die
historische Periode langer Kanzlerschaften in Deutschland
vorbei ist - das Land hatte in den letzten 40 Jahren
aufgrund der Stabilität, die eine Zweiparteienkoalition
bietet, nur drei Bundeskanzler. Dies könnte für mehr
"frischen Wind" sorgen, aber auch das politische Gewicht
Deutschlands in internationalen Gremien verringern.
3. Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Aufgaben für die neue Bundesregierung? (z.B. Rentenreform, Steuerreform, Reform der Alterssicherung)?
- Viele dringende Aufgaben werden sich daraus ergeben, wie
die neue Regierung die Generationenherausforderung des
Klimawandels angehen will. Dies kann mit marktwirtschaftlichen
Instrumenten oder auf interventionistischere Weise geschehen,
je nachdem, welcher Partei es gelingt, den größten Einfluss
auf den Koalitionsvertrag zu nehmen. Es gibt aber auch
längerfristige Herausforderungen, die vom Klimawandel
einigermaßen unabhängig sind: die Digitalisierung, der
Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Großstädten, ein
Arbeitsmarkt, der überwiegend Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor
schafft, etc...
4. Wie sollte die neue Bundesregierung den aktuellen
Fachkräftemangel angehen? Einwanderung? Bildung?
Digitalisierung? Stärkere Integration des EU-Arbeitsmarktes?
- Wir glauben, dass ein mehrgleisiger Ansatz am besten
geeignet ist, um den Fachkräftemangel zu lösen. Da der
EU-Arbeitsmarkt völlig offen ist, sind die größten
limitierenden Faktoren die Sprachkenntnisse und das
Lohnniveau. Natürlich spielt auch die Bildung eine Rolle,
aber sie wird nur langfristig eine Rolle spielen.
Extra-EU-Zuwanderung ist angesichts der Ereignisse in
Deutschland 2015/16 ein heikles Thema und würde nicht dazu
beitragen, ein Problem im hochqualifizierten Teil des
Arbeitsmarktes zu lösen.
5. Was sollte die neue Bundesregierung tun, um Deutschland als Wirtschafts- und Finanzstandort attraktiver zu machen?
- Wir glauben, dass die wichtigsten Elemente eines wettbewerbs-
fähigen Unternehmensumfelds eine bessere digitale Integration,
ein vereinfachtes regulatorisches Umfeld und schnellere
bürokratische Prozesse sind. Wir glauben, dass die Höhe der
Besteuerung für die Ansiedlung von Unternehmen weniger wichtig
ist, wenn diese anderen Probleme gelöst sind.
6. Was könnten die Wahlergebnisse für die Staatsausgaben und den Staatshaushalt bedeuten?
- Wir glauben, dass der insgesamt konservative Ansatz in Bezug
auf Ausgaben und Schuldenaufnahme - wie er sich in der
verfassungsmäßigen "Schuldenbremse" widerspiegelt - im Vergleich
zu der Zeit vor der Pandemie etwas aufgeweicht wurde. Das
Ergebnis impliziert jedoch die Notwendigkeit, Parteien von beiden
Seiten des politischen Spektrums zu integrieren - im Gegensatz
zu einer klaren linken Mehrheit - und verringert daher das Risiko
eines bevorstehenden Ausverkaufs an den deutschen Rentenmärkten.
Längerfristig glauben wir jedoch, dass die Zinssätze in
Deutschland und anderswo in Europa steigen werden, auch weil ein
höherer Ausgabenrahmen der beste Weg ist, um mehr Parteien in
Koalitionsverhandlungen unterzubringen. Wir stellen jedoch auch
fest, dass die deutschen Fiskalregeln wahrscheinlich nicht
vollständig abgeschafft werden, sondern mit etwas "Kreativität"
angegangen werden, um die Beschränkungen aufzuweichen.
7. Welche Sektoren könnten bei einer grünen Regierungs- beteiligung in Zukunft profitieren? Und würde dies die Märkte für Investoren interessanter machen?
- Alle großen Parteien haben den Klimawandel als Schlüsselthema
anerkannt, die Frage ist nur, wie man vorgeht und wie ehrgeizig
die Ziele sind. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen würde eine
aggressivere und interventionistischere Haltung an dieser Front
bedeuten, aber das ist natürlich Verhandlungssache, insbesondere
mit der FDP - einer Partei in der deutschen ordoliberalen Tradition,
die Marktmechanismen zur Lösung des Problems einem stärkeren Staat
vorziehen würde. Wir werden in der Lage sein, mehr Rückschlüsse
auf die Aussichten für die sektorale Leistung zu ziehen, wenn
diese Gespräche fortgesetzt werden.
8. Warum haben sich die Märkte bisher so unbeeindruckt von der Wahl gezeigt? Liegt das am Wahlkampf, der sich mehr auf Lebensläufe und weniger auf die politische Debatte über drängende Fragen konzentrierte?
- Man könnte argumentieren, dass die Märkte für festverzinsliche
Wertpapiere aufgrund der sich verändernden politischen Landschaft
bereits vor einiger Zeit verkauft wurden, aber es ist schwer,
diese Ansicht von der engen Korrelation mit anderen wichtigen
Märkten für festverzinsliche Wertpapiere zu trennen. Heute
glauben wir, dass die freundliche Marktreaktion größtenteils
auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass aggressivere,
ausgabenorientierte Koalitionen angesichts des Wahlergebnisses
nicht durchführbar sind.
9. Würden lange Koalitionsverhandlungen negative Auswirkungen haben? Wenn ja, welche sind das?
- Nach deutschen Wahlen dauert es in der Regel 2-3 Monate,
bis eine Regierung gebildet ist. Eine der jüngsten Ausnahmen ist
die Zeit nach den Wahlen vor vier Jahren, als die FDP die
Verhandlungen in einem fortgeschrittenen Stadium abbrach und sich
die Bildung bis ins neue Jahr hineinzog. Auch wenn die Hürde für
eine Partei, die Koalitionsverhandlungen in einem fortgeschrittenen
Stadium abzubrechen, dieses Mal sehr hoch ist, kann dies nicht
ausgeschlossen werden. Da der Bundestag innerhalb eines Monats
nach den Wahlen seine Arbeit wieder aufnehmen muss, wird
Bundeskanzlerin Merkel eine geschäftsführende Regierung führen,
die keine wichtigen politischen Entscheidungen treffen wird.
Abgesehen von politischer Trägheit und möglicher Ungeduld der
Märkte gibt es nur sehr begrenzte innenpolitische Risiken für
langwierige Verhandlungen. Abgesehen davon übernimmt Deutschland
am 1. Januar 2022 den G7-Vorsitz, und obwohl Merkel in diesem
Umfeld an der Spitze steht, ist sie natürlich auch so etwas wie
eine "Lame-duck"-Kanzlerin zu einer Zeit, in der die G7 wichtige
Themen wie den Klimawandel angehen muss.
10. Sind EZB-Sitzungen jetzt wichtiger als Bundestagswahlen?
- Insgesamt wahrscheinlich nicht. Auch wenn einige EZB-Sitzungen
natürlich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, entspricht die
konjunkturelle Stabilisierungsaufgabe einer Zentralbank einem
vergleichsweise kürzeren Zeithorizont als die Bildung einer
Regierung, bei der wichtige langfristige politische Entscheidungen
auf dem Spiel stehen, insbesondere wenn es zu einem Wechsel des
politischen Personals kommt. Letztendlich müssen sowohl die geld-
als auch die fiskalpolitischen Entscheidungsträger zusammenarbeiten,
um die aktuellen Probleme zu bewältigen.
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